Sahra Wagenknecht – Die Selbstgerechten (Teil 2)

Zwischen der Stimmungsmache gegen die schwarzen „Welfare Queen“ im Amerika der fünfziger Jahre und dem Unmut über eine wachsende Zahl zugewanderter Hartz IV-Bezieher gibt es allerdings einen entscheidenden Unterschied: Im ersteren Fall wurden Menschen, die seit Generationen im Land leben und arbeiten, aufgrund ihrer Hautfarbe als nicht zugehörig betrachtet. Dem Vorbehalt lag also echter Rassismus zugrunde […] Im zweiten Fall wird zwischen Mitgliedern einer Solidargemeinschaft nach genau dem Kriterium unterschieden, auf dem die Zugehörigkeit zu territorial begrenzten Gemeinschaften beruht: ob jemand im Land geboren ist oder zumindest schon lange dort lebt oder von außen kommt und nun Rechte wahrnimmt, ohne je den mit ihnen verbundenen Verpflichtungen nachgekommen zu sein. Diese Unterscheidung hat mit Rassismus nichts zu tun.

Wagenknecht, Sahra: Die Selbstgerechten. Campus Verlag. 2021.S. 217 – 218

Nun, vielleicht neige ich da zu schwarz-weißem Denken, aber für mich ist es schon Rassismus, wenn auch die individuelle Not eines Rassisten für mich eher eine Entschuldigung ist als pure Besitzstandswahrung. Aber natürlich ist auch klar, dass sie durch diese Unterscheidung auch die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte mitnimmt, die im ersten Fall raus sind.

Außerdem ist ihre nationale Identität, die im Folgenden eine große Rolle spielt, durch eine gemeinsam erfahrene kulturelle Identität geprägt. Diese Abkehr vom Gedanken einer gemeinsamen Europäischen Union in der jetzigen Form und Rückkehr zum Nationalstaat ist nämlich ihr Allheilmittel für die Probleme. Dadurch kann eine gemeinsame Identität für Zugehörigkeit sorgen und damit für ein stärkeres Miteinander. Da schließt sie quasi alle, die schon mal hier sind mit ein, so wie ich das verstehe. Neue sollen nur nicht hinzukommen. Die gemeinsame Erzählung sind die 70er-Jahre, als linksliberal noch nicht identitätspolitisches Gerede von sozial privilegierten Eliten war. Letzterer Wohlfühlgedanke ist übrigens durchaus anschlussfähig bei  mir, da ich selbst noch davon profitierten konnte, die Fesseln meines Elternhauses zu lösen. 

Aber Sahra Wagenknecht schließt bei ihrer Suche nach Verbündeten  Konservative mit ein und singt ein Lied auf den Konservatismus, den sie als wertkonservativ und zugleich links wünscht. Das gipfelt dann in ihrem linkskonservativem Programm.  Mich persönlich erinnert das im besten Fall an den schwedischen Weg der Sozialdemokratie und im schlechtesten Fall an andere Versuche das Nationale mit dem Sozialen zu verbinden.

Letzteres ist natürlich nicht ihre Absicht, öffnet aber eine Tür. Natürlich dereguliert und reguliert die EU nach Belieben und schafft einen Wirtschaftsraum, der Oligopole und andere Konzentrationen von Macht begünstigt. Zudem sind es tatsächlich die Nationalstaaten innerhalb der Union, die mit Sozialprogrammen dagegen halten. Keine Frage, es müssen Wege gefunden werden, globale Konzerne in ihrem Wachstum zu begrenzen oder in Verantwortung genommen werden. Aber in meinen Augen führt eine Stärkung einer nationalen Identität, und mag sie auf noch so einem humanistischen Prinzip beruhen, zu einer Verlagerung im Kampf um knappe Ressourcen. Es wird automatisch zu einem Konkurrenzkampf der Nationalstaaten führen, in dem es Gewinner und Verlierer gibt. Keine Nation wird, wenn sie erst einmal prosperiert, freiwillig andere  unterstützen und dabei Verzicht leisten. Trotz Lobbyismus, Vetternwirtschaft und mangelnder Transparenz in europäischen Institutionen ist ein gemeinsamer Weg der einzige , der der Barbarei Vorschub leisten kann. Ich glaube kaum, dass eine nationale Identität, auch auf Basis  von kulturellen Werten, etwas Anderes als  nationale Egoismen fördern kann. 

Bleibt in der Analyse ein lesenswertes Buch, das im zweiten Teil mit Vorsicht zu lesen ist, da es durchaus die Gefahr birgt, zu sehr anschlussfähig an rechte Kreise zu sein. Der Autorin allerdings aufgrund dieser Gefahr vorzuwerfen, mit dem Feuer zu spielen und ihre Analyse gleich mit auf den Scheiterhaufen der Ideen zu werfen, überzeugt mich nicht. Gerade auch die hier nicht weiter genannten Analysen von Globalisierungsfolgen und denen der Digitalisierung müssen weiter beachtet werden.

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