There’s a little bit of springtime in the back of my mind

FRANKIE STUBBS

31.03.2024 Hamburg – Slot

Ich halte mich für einen Menschen, der mit Nostalgie nicht viel anzufangen weiß. Trotzdem kann auch ich mich nicht gänzlich von nostalgischen Anwandlungen freisprechen. Letztendlich stützt sich mein Nostalgiegebäude in musikalischer Hinsicht auf die sechs Grundpfeiler NICK CAVE AND THE BAD SEEDS, MOTÖRHEAD, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, CRAMPS, THE CLASH und LEATHERFACE. Wer nun eine mystische Verstrickung zwischen diesen Bands konstruieren will, darf dies gerne tun. Für mich ist der Zusammenhang simpel und glasklar: Die genannten Bands haben meinen Musikgeschmack nachhaltig geprägt und ich kann mir deren Musik in jeder Stimmungslage in meine Hirnwindungen schrauben.

Mit LEATHERFACE und FRANKIE STUBBS verbindet mich zudem eine kleine Anekdote aus den 90er Jahren. 1990 oder 91 spielte ich mit meiner damaligen Band KLEBEFRONT im Vorprogramm eines LEATHERFACE-Konzerts. Ich war damals 18 und ein riesiger Fan der Band um FRANKIE STUBBS und seinen leider viel zu früh verstorbenen Bandkollegen. Im Gegensatz zu den meisten Auftritten meiner Band fand das Konzert nicht im Stuttgarter Raum statt, wo wir damals beheimatet waren und dementsprechend meistens spielten, nein, wir hatten sozusagen eine etwa zweistündige Auswärtsfahrt nach Wangen im beschaulichen Allgäu, hart an der bayrischen Grenze, gerade noch in Baden-Württemberg. Der Abend war für uns ein voller Erfolg. Wir spielten unser Set sauber durch und den Leuten gefiel es so gut, dass sie uns für ein weiteres Konzert im JuZ Tonne buchten. Danach spielten LEATHERFACE und ich war überwältigt. Ich gab mich der Musik, dem Alkohol und eventuell noch der ein oder anderen Kräuterzigarette hin, sodass ich zu fortgeschrittener Stunde ein wenig die Orientierung verlor und den Schlafraum im Jugendzentrum nicht mehr fand. Irgendwann im Verlauf der Nacht kam Frankie Stubbs auf seinem Weg zur Entledigung seiner Notdurft vorbei und versuchte mich, nachdem er mich in einem Sessel schlafend bemerkte, zu wecken, vermutlich mit der Absicht mich sicher zum Schlafraum zu geleiten. Im Halbschlaf gab ich ihm daraufhin, wahrscheinlich unhöflich, zu verstehen, dass er mich in Ruhe lassen soll. Mr. Stubbs, dem ein gewisser raubeiniger Ruf vorauseilte, trollte sich also wieder, um dann nur kurz darauf mit einer Bettdecke zurückzukehren, mit der er mich dann zudeckte. Seitdem ist Frankie Stubbs so etwas wie mein mystischer Papa Punk. Das weiß er selbstverständlich nicht und das ist auch gar nicht wichtig. Vielleicht passe ich ihn irgendwann einmal ab und erzähle ihm die kleine Geschichte. Vielleicht behalte ich diesen rührenden Moment aber auch einfach nur für mich.

Szenenwechsel: Hamburg, Slot zum Ostersonntag. Lieblingsfreundin eingesammelt, meinen alten Spießgesellen TR und dessen charmante Begleiterin wie verabredet vor dem Einlass abgepasst und schon kann der Spaß losgehen. Das Konzert ist mit circa 100 Leuten ausverkauft. Jüngere Menschen sind, dem Anlass entsprechend, eher die Ausnahme. Ist aber nicht weiter schlimm. Schließlich geht es hier um einen nostalgischen Abend und junge Menschen sind eben dort, wo sie heute den Grundstein für eigene Legenden und die eigene Nostalgie legen.

Das Konzept eines Abends mit FRANKIE STUBBS ist schnell erklärt: FRANKIE STUBBS trinkt gemütlich ein paar Gläschen Rotwein, singt ein paar Songs seines Solowerkes und jede Menge LEATHERFACE-Klassiker. Dabei begleitet er sich selbst auf seiner akustischen Gitarre. Das Publikum wiederum ist bemüht die Texte nach bestem Wissen und Gewissen weniger gut, dafür aber schön laut mitzusingen. Darüber fällt der Meister so sehr in Verzückung, dass er hin und wieder aus dem Konzept gerät und sich deshalb ab und zu mit seinen kräftigen Fingern auf dem Griffbrett verirrt. Diese kleinen Patzer werden dann charmant und mit Humor überspielt und Mr. Stubbs sieht uns im Gegenzug nach, dass wir bei „Springtime“ oder „I want the Moon“ nicht so textsicher sind, wie wir alle dachten oder den Einsatz versemmeln. So vergeht der Abend bei bester Stimmung in Kurzweil. Alle im Raum Anwesenden wussten bereits im Vorfeld, wozu sie den Weg ins Slot angetreten, und wofür sie Eintritt bezahlt haben. Keine Überraschungen, keine Tricks und kein doppelter Boden. Ehrlicher, rauer Punk, der eben auch mit der Akustikgitarre funktioniert. Wer ein feingeistiges Folkkonzert sehen will, soll doch in irgendeinen snobistischen Möchtegern-reiche-Leute-Vorort gehen und sich mit ein paar wild gewordenen LehrerInnen und BeamtInnen im mittleren Dienst eines dieser doofen Hauskonzerte ansehen und dort Weißweinschorle saufen und Billiglachsschnittchen futtern. Hier im Slot wollen wir so etwas heute Abend definitiv nicht. Hier und heute stimmt die Welt einen Abend lang und es fühlt sich ein wenig an wie zu Hause. FRANKIE STUBBS ist und bleibt dabei das kernige und grundsympathische, leicht anachronistische, charmante Raubein mit seiner unverkennbaren, wunderschönen, kräftigen und herzlichen Stimme. Und das meine ich ganz und gar ernst, ohne den geringsten Hauch von Ironie oder Häme.

Nachdem unsere Nostalgieakkus erfolgreich aufgefüllt wurden, treten wir hinaus in die kühle Nacht, vorbei an den Crack-Junkies in den dunklen Ecken, bereit, das Hier und Jetzt wieder zu ertragen, und neugierig und offen für neue und junge Ideen zu bleiben, because „there’s a little bit of springtime in the back of my mind, (…) there’s still so many things left  to see“ and we still have this „fascination for larger than life“ und Springtime ist und bleibt der beste Punksong aller Zeiten. So lassen wir den wunderschönen Abend an einer Pommesbude mit veganem Döner und Limo zufrieden ausklingen, bevor wir uns auf die Heimreise begeben.

 

Vielen Dank an Karl-Heinz Stille für die beiden schönen Fotos, die Frankie Stubbs bei seinem allen Anschein nach etwas gesitteteren Auftritt in der Alten Hackerei in Karlsruhe am 03.04.2024 zeigen.

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