Mutti für Palästina: IDLES, DITZ live

21.03.2024 Köln, Palladium


Ich denke, man darf schon neidlos anerkennen, dass die IDLES eine tolle und mitreißende Liveband sind. Allerdings sollte man ebenso wenig ausklammern, dass der einseitige und unreflektierte Pro-Palästina-Quatsch, den Sänger Joe Talbot zurzeit an mehreren Stellen der Konzerte seiner Band einstreut, einfach überflüssig ist und gewaltig nervt. Im Nachgang des Abends habe ich mir auf YouTube noch ein etwa halbstündiges aktuelles Interview des NME mit Joe Talbot angesehen und dabei den Eindruck gewonnen, dass er für jemanden, der mit vielen Worten nicht viel sagt, sich a) vielleicht ein wenig zu wichtig nimmt und b) ein wenig den Kontakt zum Mutterschiff verloren hat. Während des interviews musste ich jedenfalls mehrmals skippen um zu verhindern, dass ich gelangweilt wegdöse und hart mit dem Kopf auf der Tastatur aufklatsche. Seine zentrale Botschaft ist jedenfalls Love, Love, Love. Okay, damit kann ich ganz gut leben, ohne sofort reflexartig in irgendwelche Anti-Hippie-Tiraden abzudriften. Wenn aber jemand während eines Konzerts sehr, sehr viel Zeit und noch viel mehr Worte darauf verwendet, sich für all die Liebe zu bedanken, die ihm sein Kölner Publikum entgegen bringt und versucht, die empfangenen positiven Vibes in episch langen Ansagen zurückzugeben, frage ich mich, warum ein so komplexes Thema wie der Nahostkonflikt mehrmals auf „Viva Palestine“- und „Free Palestine“-Phrasen reduziert wird. Ein paar erläuternde Sätze wären hier wünschenswert gewesen. Ich bin mir nicht sicher, ob der Diss-Rant von Knallcharge BOB VYLAN im letzten Herbst die IDLES dazu bewogen hat, sich politisch zum Nahostkonflikt zu äußern, ob das nun Überzeugung ist oder lediglich ein Zugeständnis an ihr vermeintlich linkes Publikum, das außerhalb Deutschlands den Diskurs über den Nahostkonflikt meistens anders führt als wir in Deutschland. Nebenbei bemerkt wirkt BOB VYLAN auf mich immer ein wenig wie ein H&M-Model, das durch den urbanen, edgy Vorort catwalked. Nun denn: Die IDLES machen sich also für die palästinensische Sache stark. Die Ursache für die anhaltende Eskalation wird dabei völlig ausgeblendet. Den geistigen Sprung von feministischer und pro-queerer Haltung und der klaren Positionierung gegen toxische Männlichkeit, Homophobie und Transfeindlichkeit hin zum Pro-Palästina-Rant kann ich dabei nicht wirklich nachvollziehen. Will ich auch nicht. Allerdings ist eine solche Haltung nicht gerade ungewöhnlich in der internationalen Kunst- und Musikwelt. Sobald man in dieses Thema eintaucht, finden sich in der Kulturszene viele pro-palästinensische ApologetInnen, die sich vor den Karren von BDS, DJs for Palestine oder anderer Organisationen spannen lassen oder auch ganz von selbst bis in die DIY-Punkszene hinein historische Fakten entweder nicht kennen oder verzerren, Verschwörungstheorien und antisemitische Klischees reproduzieren und allgemein unreflektierten Blödsinn verzapfen. Israel wird hierbei in der Regel die Rolle des politischen und militärischen Aggressors zugewiesen. Nun denke ich nicht, dass all jene, die sich für Palästina aussprechen und engagieren knallharte AntisemitInnen sind und ich werde auch ganz sicher nicht anfangen den Inhalt meines Schallplattenregals in panischem Reflex nach Gesinnung auszusortieren oder gar die Platten der IDLES oder manch anderer zu schreddern. Wollte ich alle Musik, die nicht meiner persönlichen politischen Haltung und Werte entspricht, radikal aus meinem Plattenregal verbannen, wäre der nächste Umzug zwar sicher deutlich einfacher, meine Welt aber auch deutlich ärmer.

Kunst ist ein wunderbares Stilmittel, um bestehende Ungerechtigkeiten anzuprangern, zu provozieren, eine Diskussion anzufachen, gesellschaftliche Positionen zu verhandeln und in den Austausch zu gehen. Das Führen eines solchen Diskurses ist während eines Konzerts in der Größenordnung einer IDLES-Show allerdings nur schwer möglich. Talbot hat die platte Parole gewählt und damit Stellung bezogen. Statt zu erläutern, wie er den Konflikt sieht, gibt er sich lieber irgendwelchen inhaltsleeren Call-and-Response-Spielchen mit dem Publikum hin, beschimpft das britische Königshaus (zurecht) oder verliert sich in minutenlangen, sinnbefreiten Danksagungen. Ihm fällt allerdings auch nicht die Rolle eines Politikers zu, der seine Position lange erklären muss. Er entlarvt sich dadurch aber als stumpfer Prolet, der seine dumpfen Parolen in das von ihm mitgestaltete, abendliche Unterhaltungsprogramm einfließen lässt und vermutlich denkt, dass er so Haltung zeigt und irgendwie progressiv politisch ist. Es gehört zur Show. Er hätte auch die Chance nutzen können, um sich für Frieden und/oder einen Waffenstillstand auszusprechen. Das geht mit wenigen Worten. Er hätte die rechte Regierung Israels und ihr militärisches Vorgehen kritisieren können. Auch dies ist einfach und menschlich vollkommen nachvollziehbar. Vor allem hätte er aber die Hamas als kriegstreibende Terrororganisation benennen können, die weder vor zivilen Opfern auf israelischer, noch auf palästinensischer Seite zurückschreckt. Eine Terrororganisation, die die eigene Bevölkerung als Schutzschild missbraucht, Frauen- und LGBTQIA*-Rechte mit Füßen tritt und auch hier vor Mord nicht zurückschreckt. Eine Terrororganisation, die die Ermordung und systematische Vergewaltigungen von ZivilistInnen als legitimes Mittel ihres Kampfes wählt und deren offizielle Vertreter einen zweiten, einen dritten und noch viele 7. Oktober, sowie einen eliminatorischen Antisemitismus propagieren. So viele Möglichkeiten, so viele Chancen etwas Kluges zu sagen. Stattdessen lediglich inhaltsloser geistiger Dünnpfiff.


Ach ja, Musik gab’s auch noch:
Im Vorprogramm DITZ aus Brighton. Düsterer Posthardcore trifft auf Industrial und Postpunk. Stellenweise erinnerte mich das an DAUGHTERS ohne deren aufgesetzte Coolness und an die schwierigeren und monotonen Stücke von MINISTRY zur „Filth Pig“- und „Dark Side oft he Spoon“-Phase, und manchmal eben auch an die IDLES. Letztendlich eine gute und spannende Band, die ich mir gerne noch einmal in freundlicherem Ambiente ansehen würde.
Die IDLES begannen ihr Konzert mit dem Auftaktstück ihrer aktuellen Platte TANGK, das Nahtlos in „Colossus“, den Opener ihres 2. Albums überging. Im Anschluss daran folgte „Gift Horse“ und der erste „Viva Palestine“-Rant, danach arbeitete sich die Band abwechselnd gekonnt durch die eigenen Klassiker und die Songs der neuen Platte, sodass der Spannungsbogen eigentlich ganz gut gehalten wurde, wären da nicht immer wieder diese bescheuerten „Free Palestine“-Ansagen gewesen, die glücklicherweise nicht vom Rant zum Chant wurden. Gegenrufe waren vereinzelt auch zu vernehmen, wobei diese in der Menge des ausverkauften Palladiums kaum zu hören waren. Selbst Stücke wie „Mother“ oder „1049 Gotho“ ließen bei mir keine versöhnliche Stimmung mehr aufkommen. Wie Joe Talbot dann bei „The Wheel“, einem Song, der von der Alkoholsucht seiner Mutter und seiner eigenen Drogensucht handelt, wieder mitten im Song auf „Viva Palestine“ kommt, bleibt für mich ein Rätsel. Vielleicht sollte er zukünftig dann konsequenterweise das im Text vorkommende „Halleluja“ durch ein „Hamdala“ ersetzen. Oder immer im Wechsel… Das wäre zumindest ein wenig kreativer. Spätestens bei „Never Fight A Man With A Perm“ wurde mir dann klar, weshalb ein Freund (ich glaube es war Schippy, vielleicht aber auch Swen) die IDLES mal als Oi-Punk für Hipster bezeichnet hat. Live mit mitgröhlendem Publikum kommt der Song richtig scheiße rüber. Den Zugabenteil habe ich mir erspart. Alles in allem merkt man der Band ihre Spielfreude an und die Liveumsetzung, auch im Zusammenspiel mit der recht aufwendigen Lightshow, ist durchaus gelungen und imposant. Am Ende ist es eben eine große und gut inszenierte Rockshow, die wegen der oben genannten Gründe Bauchschmerzen bereitet.

Positiv erwähnen will ich noch den Soli-Stand von Sea-Punks im Foyer.
Statt Geld für teure IDLES-Konzerte auszugeben, empfehle ich jedenfalls besser mal ein Buch in die Hand zu nehmen. Am besten „Judenhass und Underground“, erschienen im Hentrich&Hentrich Verlag.


In diesem Sinne: Free Palestine from Hamas!

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