Frühchefmord: ES WAR MORD vs. CHEFDENKER

Zweimal Ausrufezeichen von auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Bands, die sich im fantasierten Zusammentreffen in meinem Sonntagmorgenkaffeeschädel durchaus prima ergänzen und verstehen könnten.

CHEFDENKER – Asozialdawinismus CD

Allein für den Satz aus dem Bandinfo, dass CHEFDENKER einfach gar keinen Weg gehen, während andere ihren eigenen gehen, gehören sie kräftig geknuddelt. Und beim Hören des Albums wird schnell klar, dass das nicht bloß eine leere Floskel ist, sondern dass CHEFDENKER tatsächlich stehenbleiben und die Zeit um sie herum fließt. Sie beobachten die Evolution um sich herum und entziehen sich auf herrliche Art und Weise den unweigerlichen Prozessen. Diese führen zu lebenslanger JUNGEN UNION und in ihm lebt der Mann entweder im Anzug auf, hat Spaß als Anwalt oder beim Kölner Karneval. Claus versteht es mit wenigen Worten ganze Welten zu zerstören und andere aufzubauen. Dabei singt er Hohelieder auf das Versagen in einer sinnlosen Welt und entlarvt die Evolution als absurd. Der Titel ist tatsächlich genial und taugt dazu, über jeden Song gelegt zu werden. Musikalisch testet Claus die Grenzen des Hörbaren für mich aus, will sagen, dass ich mir einen musikalischen Abend mit ihm vorstelle wie einen mit Tom Tonk im verrauchten Hinterzimmer: Ehrlicher Rock, der völlig befreit vom Punk in seiner Rückwärtsgewandtheit schon wieder erfrischend ist. Ich ertappe mich, wie dieser Geist der 70er mich erfüllt und mitnimmt. Das liegt sicher daran, dass sie das wirklich lieben, was sie machen. Mit Claus haben Chefdenker natürlich auch jemanden, der jederzeit der Gegenentwurf zu allen Arten von Konsenspunkbands darstellt. Da ist niemals auch nur ein Ansatz von einem Heischen nach Zustimmung. Friss oder stirb. CHEFDENKER wird es egal sein, für mich ist es ein Fest und auch Trost, all diese kleinen Perlen musikalisch und textlich immer wieder auf das Neue zu entdecken.

 

ES WAR MORD – Utopie der Kosmonauten LP

Trost hingegen kann man nur schwer bei ES WAR MORD finden, obwohl ich tatsächlich glaube, dass sie Geschwister im Geiste sind. Aber während das CHEFDENKER-Motto vielleicht „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ ist, kommt das Lachen bei ES WAR MORD gar nicht erst in den Hals, um dort stecken zu bleiben. Das hier ist also eher das Hineinspringen in den Abgrund. Die sprachlich reich bebilderten Texte lassen keinen Raum für das Schöne. Humor, Hoffnung oder Pathos gar? Nö, dafür ist nirgends Platz. Musikalisch derb, rau und ungeschliffen: dystopische und misanthropische Welten tun sich auf. Absurdität und Atavismen prägen das Leben und auch die „Utopie der Kosmonauten“ ist natürlich sinnbildlich für menschliches Totalversagen auf dem Cover von Spiegelsaal inszeniert worden. ES WAR MORD machen Punk, der im besten Sinn schwer verdaulich ist. Da will sich gar nichts einschmeicheln. Die kurzen Pascow-Elemente (in ‚Millionen’ und ‚Schrankenwärter‘) werden durch die trockene Produktion sofort kleingehalten: Gar nicht erst wohlfühlen, ist die Devise. Zerstörung tatsächlich auf höchstem musikalischen Niveau. Und wenn man sich dem trotzdem hingibt, treibt einem der bitterböse Zynismus dann doch ein ebensolches Lächeln ins Gesicht. Exemplarisch für das, was ich lustig finde, müssen wohl ‚Sprung‘ oder ‚Aua’ herhalten. Letzterer war ja auch schon wie zwei andere schon auf der 7inch mit drauf.

Atmosphärisch fühle ich mich beim Hören wie in einer Art Fritz Lang-Film: schwarz-weiß, düstere Blicke und eine Welt, die schrecklich traurig ist.

Und jetzt bin ich auch neugierig genug geworden, um die erste LP aufzureißen und endlich  auch mal zu hören. Erster Eindruck: Im Vergleich dazu hören sie sich deutlich weniger Rachut-mäßig an.

Chefdenker kann man vorbestellen bei Trillerfisch.

Es war Mord gibt es schon bei Sounds of Subterrania.

 

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