Gedankenprotokoll eines Automobilisten: Qatar, die Natio und ich

Warum der Boykott nicht nur was für Amateure ist

Vorweg: Ich bin grundsätzlich hoch erfreut, wenn sich nun viele Menschen und auch Personen mit vielerlei Vorlieben darauf einigen, dass man diese WM nicht schaut, weil sie mit Werten nicht vertretbar sind. Diese vereinzelt vorgebrachten Rufe, es sei verlogen, weil wir Geschäfte mit China machen oder kein Problem haben, die Rohstoffe aus diesen arabischen Ländern in unsere Tanks zu knallen, sind zwar berechtigt, aber allesamt maximal Tu-coque-Argumente. Der eine Boykott wird nicht falsch, weil wir den anderen nicht schaffen. Moral fängt immer irgendwo an, also meist dort wo der eigene Wohl- und Besitzstand nicht bedroht ist. Außerdem macht der Mensch und auch die Person gerne mit, wo andere schon dabei sind. Beim WM-Boykott machen also nun auch die sogenannten Amateure mit, die früher die Fanmeilen bevölkerten und ihre Autos mit Fähnchen schmückten. Jetzt aus Trotz Fähnchen ans Auto zu pappen und sich zum Spaß in der Stammkneipe darüber zu beschweren, dass dort keine Spiele gezeigt werden, ist zwar irgendwie verständlich, aber auch genauso kindisch. Ich fange ja jetzt auch nicht an wieder Fleisch zu essen, weil Ersatzprodukte gegrillt werden können.

Anhand meiner Vita will ich mein Verhältnis zur Nationalelf und ihrem Auftreten während Weltmeisterschaften im Wandel der Zeiten kurz beleuchten, und so klar machen, warum für mich der Boykott kein großes Ding ist.

Die 1970er Jahre: Wie kann man sich nur für Fußball interessieren?

Unendlich langweilig empfand ich das Ballrumgeschiebe  1974. Fußball war die langweiligste Sache der Welt. Unerklärlich war es für den 5jährigen Swen, warum mein Opa den Fernseher dafür anmachte, denn so richtige Begeisterung spürte ich bei ihm auch nicht. Auch er hatte mehr Spaß, wenn er Skat mit seinen Freunden zockte. Ich auch, denn dann gab es immer den Schaum vom Bier und Geld für das Büdchen, um Klümpchen zu kaufen.

1978 erinnere ich nur daran, dass ich die Argentinien-Trikots toll und Udo Jürgens Song mit der Nationalmannschaft langweilig fand. Auch hier gab es kaum Begeisterung in meinem familiären Umfeld. Selbst in der Grundschule unter den Klassenkameraden spielte die WM keine Rolle. Ich kann mich weder an Fähnchen noch an sonstiges Bohei erinnern. Über das Ausscheiden gegen Österreich freute ich mich erst mit meiner Punksozialisation; Gleiches galt für die Niederlage  gegen die DDR 74 und den verschossenen Elfer von Hoeness bei der EM 76. Letztere Freude hält bis heute vor.

Die 1980er: Im Spiegel der geistig moralischen Wende

Beim EM-Sieg 1980 kann ich mich erstmals erinnern, dass es etwas wie Begeisterung in meinem Freundeskreis gab. Für mich waren die Sammelbilder von Panini aber das Interessanteste, wobei das Star Wars Sammelalbum wegen Prinzessin Leia und Han Solo auch hier noch weit vorne lag.

1982 ging es dann in eine zwei Weltmeisterschaften andauernde Begeisterunsphase. Begleitet wurde das durch die geistig moralische Wende, die auch der kleine Swen spürte. Getragen vom Nationalen gewann ich sogar dem grausamen Rumgeschiebe gegen Österreich etwas ab und war stolz, dass so mit den Ösis auch wir Deutschen in die Zwischenrunden kamen. Die Begeisterung kannte dann kein Ende als Toni Schuhmacher gegen Frankreich im Halbfinale zum Helden geriet und Klaus Fischer mit einem spektakulären Fallrückzieher einen 1:3 Rückstand in der Verlängerung egalisierte. Erstmalig elektrisierte mich die Nationalmannschaft. Dieser maximale Willen bei limitierten Möglichkeiten packte mich. Nach dem verlorenen Finale schwor ich mir, nie wieder eine Pizza zu essen.

Die 86er-WM war ja in spielerischer Hinsicht ähnlich verlaufen, aber Saufen spielte für mich eine größere Rolle, wenn die Nationalmannschaft auch noch nicht ganz abgemeldet war.

Die 1990er: Das Interesse verblasst im Punkrock-Suff

1990 war dann ein höchst zwiegespaltenes Jahr: Auf der einen Seite galt Fußball als das uncoolste überhaupt, auf der anderen Seite hatte mich der Zebravirus vollends gepackt. Außerdem war natürlich klar, dass Deutschlandfahnen in Zeiten einer großdeutschen Einheit überhaupt nicht mehr gingen und auf der anderen Seite regte sich zarter Hass auf die Holländer. Die Freude über den WM-Erfolg war bei mir also eine heimliche, aber dafür zum ersten Mal in meiner Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ein Riesending. Erstmals nahm ich die ganze Autokorsoscheiße wahr, aber hier in der Gegend waren das eher die Hools, die an die Grenze fuhren, um sich zu boxen. Eine gewisse Grundübelkeit überlagerte den Fußballpatriotismus von da an, der darum fortan nur noch lokal ausgelebt wurde.

So bekam ich tatsächlich in der 1990er-Jahren gar nichts mehr von der WM mit. Eine davon war, glaube ich, in den USA. Dass eine EM gewonnen wurde? Egal! Und die letzte Erinnerung war, dass ich mit Frank Herbst zusammen mitten auf dem Platz bei einem Spiel war. Zur Erklärung: Das war in meiner kurzen aber heißen Hoffmann-Jubiläums-Phase. Danach kehrten die Nüchternheit und Vernunft in mein Leben. Niederlagen der Nationalmannschaft wurden wohlwollend zur Kenntnis genommen.

Ab 2000? Die Neuerfindung des Nationalen? Wird jetzt alles gut?

Kurz flammte mit der WM 2002 nochmal Sympathie mit der Natio auf, wenn auch nur heimlich. Wie sie es mit Antifußball und einem überragenden Kahn ins Finale schafften, dass war echtes 1982-Gefühl. Die Hupscheiße war allerdings unerträglich: Wie konnte man ehrlich diese unverdienten Siege feiern, ohne sich lächerlich zu machen? Danach war es dann aus mit der Rumpelscheiße. Bekanntlich hielt mit Klinsi der unbeschwerte und diverse Fußball Einzug ins Land. Meins war es dennoch nicht, was vor allen Dingen an der Eventisierung lag und der Grundübelkeit, die sich auch bei diesem neuen Patriotismus nicht beseitigen ließ. Seitdem wurde erst der Nationalmannschaftfußball und mittlerweile auch der Vereinsfußball zu einem unerträglichen Phänomen. In ihrer Grenzdebilität spielen die Fans schon in der Eishockeyliga: Klatschpappen und Ultragedöns überall. Meins ist das nicht, ich liebe ja den Missmut und da hat ein 0:0 gegen Wismut bei Dauerregen schon mehr Erlebnisqualität als die schwarz-rot-goldene Einfalt. Da bin ich natürlich beinahe alleine in meiner Blase.

Überall holt der neue deutsche Multikultinationalismus die Leute ab. Deutschland ist jetzt bunt. Auch unter Jogi kann man nicht anders als der Welt zu zeigen: Am deutschen Wesen soll die Welt gefälligst genesen. Da kann auch ich nicht anders und freue mich über die Demütigung Brasiliens im Halbfinale 2014 oder wann war das? Viel geiler fand ich aber die Empörungswelle angesichts der Siegesfeier unserer Helden. Oder war es doch der Gouchotanz selber, der mich freute?

Seitdem schwimme ich wieder auf meiner schwarzen Welle der Fußballmisanthropie. Großartig uninspirierter Fußball und ein Löw, der einfach nicht gehen will. DIE MANNSCHAFT verspielt all ihre Sympathien und damit auch kommerziell verwertbare Ambitionen, denn selbst die Doofen kommen nicht mehr zu den Länderspielen, weil eine Niederlage die nächste Enttäuschung jagt. Weinende Kinder stehen einsam auf den Rängen und wollen lieber ins Bett. Herrlich!

Großartig auch, dass ich kaum noch einen Spieler kenne. Okay, Manuel Neuer, Thomas Müller und jetzt wieder Götze. Der Rest? Austauschware aus den Plastikligen dieses Kontinents, die sich dem Spielsystem des Trainers – wie hieß der nach Jogi nochmal? – unterordnen. Selbst Ferrero hat keine Sammelbilder mehr im Duplo. oder Hanuta. Da wird die Milch in der Schokolade vermutlich schlecht.

Und jetzt auch noch Qatar: Endlich bade ich auch mal wieder mit meiner Meinung im Mainstream mit. Geht natürlich überhaupt nicht! Aber ich befürchte die Dauerwerbebeschallung durch die Medien (natürlich kritisch!) wird die Kritiker verstummen lassen, sobald sich sowas wie  Erfolg einstellt. Allein die Unverschämtheit, dass darüber noch in den Hauptnachrichten berichtet wird …

Bleibt nur zu hoffen, dass es ein würdevolles Vorrunden-Aus gibt! Allein dafür, dass ich heute keine Niederlage meiner Zebras auf Magenta TV gucken kann, gehört der Scheiß boykottiert!

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