Boomergeschichten: Record collectors are?

Die Frage hatte ich eigentlich für mich beantwortet, nämlich mit: Eigentlich ganz okay! Bis ich mich dabei ertappte, der gleichen irren Logik anheim zu fallen, wie es scheinbar in großen Teilen meiner Boomer-Bubble okay schien. Auch ich begann Vinyl-Ersteditionen vorzubestellen und mir dämliche Boxen in unsere Bude zu stellen, gerne auch zwei (eine zum Auspacken und die andere in MINT für das Regal). Ob das nun mit FLINTA-Stoffbeutel oder mit XL-T-Shirt von Tocotronic kam, interessierte mich nicht, denn gebraucht wurde der Kram nie. Produktion für die Tonne würde ich das nennen. In jedem Fall sinnlose Ressourcenverschwendung. Und jetzt steht der Scheiß in der Bude rum und bringt noch nicht einmal eine ordentliche Discogsrendite. Die Briefmarken von Pappa haben wenigstens nicht so viel Platz verbraucht, denke ich mir. Dabei fing alles so gut an:

Mangels finanzieller Privilegien konnte ich mir im Grundschulalter nur alles zwei Monate eine Langspielplatte bei Passmann in Essen Kray kaufen. So kam ich an eine krude Mischung aus Teens, Smokey, Heino (wegen ‚Wir lagen in Madagaskar‘) und AC/DC. Selbstverständlich wurden die mit Adressstempel versehen, womit meine Besitzansprüche verewigt wurden. Musik wurde sonst im Radio auf Kassette gesaugt. Mel Sondocks Hitparade und Wolfgang Neumanns Schlagerrallye war der heiße Scheiß. Auf John Peel hatte ich keinen Bock, weil der noch früher reinquatschte und ich ihn sowieso nicht verstand.

Später dann wurden die Scheiben bei Primus in Duisburg Großenbaum und irgendwann auch in der Innenstadt von Duisburg erworben. Mehr als eine LP war dann aber nicht drin. LP wurden dann gegenseitig den Freunden im Tausch auf Tape gezogen, sodass wir auch Absprachen trafen, wer denn welche Platten kaufte. Mein Kumpel Krückstock war es dann, der als erster ein Doppeltapedeck hatte, mit dem man Songs ausblenden konnte, bevor die Moderatoren reinquatschten. Ich denke, dass dies seinen sozialen Status erheblich steigerte.

Eine Explosion erlitt das Home-Taping dann, als mit den Elektronik-Ketten Schossau und Schürmann der 5er-Pack-TDK oder Maxwell-Kassetten unter 20 Mark rutschte. So gelang ein Ausgleich in der Güterabwägung zwischen Musik oder Saufen, die wichtigen Veröffentlichungen der 80er-Jahre hatte ich alle: allerdings nur auf kopierter Kassette. Und die erstellten Mixtapes rauschten teilweise sehr.

Mit dem Flüggewerden und dem ersten Ausbildungsgehalt fand dann eine Horizontverschiebung statt. Durch das ZAP öffneten sich mir völlig neue Horizonte: Mein Lieblingsmailorder wurde Beri Beri aus Hamburg und bei Markus Jeroma (whatever happened to you?) vom Bodensee bestellte ich auch gerne. Die beiden Martins aus Hamburg hatten immer eine erstklassige Auswahl an Ami-Hardcore, der in den frühen 90er-Jahren auf CDs den Vorteil bot, dass es gerne zu der neuen Veröffentlichung eine alte LP oder 7inch als Bonus dazu gab. Das war wirklich Value for Money. Ansonsten traf ich die Kaufentscheidung pragmatisch nach Preis. Meist waren die LPs deutlich günstiger als CDs. Trotzdem reichte der Geldbeutel kaum für all die großartigen Platten aus den USA, so dass ich all meine Kopien und Originale zusammenraffte und mit Tornado-Tapes (Gott hab ihn selig!) eine Tauschliste erstellte. Über diesen Weg lernte ich andere tolle Menschen kennen, die über großes Suchtpontenzial aber wenig Geld verfügten. Wir kopierten also gegenseitig was das Zeug hielt (was war noch mal copyright?).

Mit dem Einstieg in die Fanzine-Szene erübrigte sich aber diese Notwendigkeit. Zunächst war die Begeisterung noch über jeden wattierten Großbrief vorhanden, der mir zwecks Besprechung zukam, dann aber erstickte ich über Jahre im Reviewmaterial. An den Kauf eigener Platten oder CDs dachte ich bestimmt 15 Jahre nicht. Musik zu hören und zu besprechen war mein Beruf und ich ging ihm immer seltener mit Freude nach.

Nach meinem Ausstieg aus dem Beruf des Punkers hielten mich nur noch die zweiwöchentlichen Radiosendungen mit Vasco verbunden und die Musik dazu saugte ich mangels Masse aus dem Internet, wenn ich nicht die jahrelang aufgestaute Musik in Form von Promo-CDs aufarbeitete, die ich parallel zum Lernen für das Studium hörte.

Da die Kredite, die ich über all die Jahre in das Plastic Bomb steckte, unmöglich zurückzahlbar waren, begann ich dann bei meinen Besuchen beim Plastic Bomb auch immer Platten mitzunehmen, die mir von Micha oder später Rob empfohlen wurden. Darüber muss ich wohl an die Vinylsucht gekommen sein, denn beide nahmen niemals eine verhasste CD in die Hand. So begann ich den Tonträger zu schätzen, der bei liebevoller Aufmachung soviel Mehrwert versprach. Die Reste meiner durch eine Überschwemmung sehr reduzierten Vinylsammlung wuchsen so zu einem vollen Regal aus. Ich begann gezielt verkaufbare CDs zu veräußern, um mir alte Lücken (Platten, die ich früher nur auf Tape hatte) zu schließen. Mit Discogs fand ich hier ein taugliches Medium.

Und mit meinem persönlichen Lottogewinn, der Verbeamtung als Lehrer, verfügte ich plötzlich auch über die Mittel, direkt Geld in die darbende Szene zu schießen. Vielleicht war das dann auch etwas Ablasshandel für die ganzen Tapekopien aus Jugendjahren, aber ein gewisser Jagdinstinkt und die Gier (Hallo Gewalt, ja ich weiß, ich habe auch eure Box bestellt. Aber das ist garantiert die letzte. Ich habe es auch nur gemacht, weil ich dich Patrick beim total leeren Konzert im Djäzz geärgert habe!) bildete sich heraus.

Außerdem begann ich wieder aktiv Musik zu hören, statt nur auf Veröffentlichungen zu reagieren. Die Idee reifte, dass ich fortan eine Sammlung erstellte, die Qualität statt Quantität besaß. So betrog ich mich selbst, indem ich für jede Neuerwerbung eine andere Scheibe (ob als CD oder LP) bei Discogs zum Verkauf einstellte, die ich für minderwertig hielt. Freilich stehen allerdings so Scheiben zuweilen ziemlich lange dort. Außerdem ist manches ganz schön peinlich.

Nichtsdestotrotz möchte ich sagen, hat sich in den letzten Jahren eine Neugier herausgebildet, die genreübergreifend und ohne Scheuklappen funktioniert. Meine beiden Lieblingsmailorder Flight 13 und X-Mist halfen da gewaltig: Flight 13 für die Sachen, die ich schon kenne, und X-Mist sehr oft einfach mit herausragenden Tipps, die ich so nie auf dem Radar gehabt hätte. Dass jetzt Helge Schneider durch sein Schaffen nach all den Jahren auf einmal das Fass Jazz aufgemacht hat, wird es in Zukunft nicht einfacher machen. Aber gerade da gibt es für extrem kleines Geld ja großartige Beute in den CD-Kisten zu machen: Coltraine, Monk, Davis oder auch McLaughlin zum Beispiel.

Und dabei wird mir bewusst, was für ein herausragender Tonträger doch die CD ist: Liebevolle kleine Verpackungen, lange Spielzeiten ohne lästiges Umdrehen und herausragende Klangqualität über Jahrzehnte. Und wenn man dann noch weiß, dass die meisten LPs nur als Kopien von CDs in die Presswerke gehen, warum soll man dann noch teilweise das Doppelte für sie ausgeben?

Ich habe jetzt meine ersten Bestellungen wieder als CDs platziert… und was soll ich sagen: Ich bin wirklich zufrieden. Vinyl wird gekauft, wenn es alternativlos ist oder gerne auch gebraucht. Die CD hat aber wieder bei mir einen Platz im Herzen.

Warum auch nicht? Mal ganz ehrlich, soll ich mir auf den Wert einen keulen? Wenn wir mal über die Wupper gehen, interessiert sich eh keiner mehr für den Verpackungsmüll. Man wird sowieso nur verständnislos den Kopf schütteln, soviel fossile Brennstoffe vergeudet zu haben.

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