Mind the Gap: Alte Punks

Niemand mag sie. Und leider ist es ihnen nicht egal, denn sie wähnen sich jung geblieben, innovativ, kritisch, trinkfest und nonkonform. Sie waren schon gegen den Staat, als es noch keinen Staat gab. Zweifelsohne, so denken sie, haben sie das Land verändert. Alle sind nicht nur gegen alle sondern allgegenwärtig. Sie waren schon gegen Nazis als sie selbst noch nicht dazugezählt wurden. Sie haben laut Slime gehört und gesungen, als die noch auf dem Index für jugendgefährdende Schriften standen oder gar verboten waren. Sie haben Hippies abgrundtief gehasst, in der Fußgängerzone der Innenstadt geschnorrt und Zugabteile vollgekotzt. Sie hatten das Privileg, ohne elterliche Unterstützung und Hochschulstudium eine Struktur aufzubauen, die sie einfach nicht verlassen wollen. Sie nutzen heute Facebook und kriegen von Twitter Kopfschmerzen.

Heute aber verblasst ihr Ruhm. Niemand will mehr ihre alten Geschichten hören. Eine junge woke Hipsterpunkgeneration verzieht angeekelt die metallverzierten Visagen, wenn sie wieder mit ihren Bands touren und ihre Festivals veranstalten. Denn alte Punks sind rückständig und stehengeblieben. Überwiegend leben sie im Gestern und geben ihren aktuellen Reichtum dafür aus. Da sie überwiegend Männer sind, auch die Frauen, stehen sie an der Spitze der Privilegienkette und verteidigen dort ihren Status Quo. Sie spielen in Bands, machen immer noch Papierfanzines und schreiben und nehmen die Brillen ab, wenn sie mit einem Finger ihre Hassbotschaften ins Netz stellen. Wird der Begriff FLINTA* genutzt, schalten sie ihre Hörgeräte aus oder googlen den Begriff, weil sie die Bedeutung des Akronyms nicht behalten können.

Und zu Recht fragt man sich, ob sie nicht mal zurücktreten können oder ihre Energie zur Förderung von diskriminierten Minderheiten investieren können, ohne auch noch darüber zu reden.

Aber wie sieht diese identitätspolitisch klar abzulehnende Gruppe aus? Lohnt es nicht, genauer hinzuschauen?

Ich denke doch! Schließlich ist diese homogene Gruppe so heterogen wie ein frisch gentrifizierter Stadtteil in einer hippen Großstadt wie Duisburg oder Düsseldorf. Und wie dort und in der Gesellschaft überhaupt ist hier einmal mehr die monetäre Ausstattung ein Merkmal einer Teilgruppe, die noch die größte Nähe zum echten Punk der jungen Generation zwischen 20 und 50 garantiert.

Der graue AZ-Punk

Wie alle alten Punks sind sie jenseits der 50, haben aber den Absprung verpasst. Sie hausen an Orten wie der Au in Frankfurt oder dem AK 47 in Düsseldorf, sind seit Urzeiten in der Antifa und genauso lange nicht gewaschen. Rein optisch sind sie Role Models für die junge Generation, mit dem Unterschied, dass sie wirklich kaputt sind. Das einzig Gesunde ist ihre vegetarische Ernährung, ansonsten wird der Flüssigkeitshaushalt durch Alkoholika aller Arten geregelt und der Körper durch Teerablagerungen zusammengehalten, denn Nichtrauchen lehnen sie selbstverständlich ab. Ihren Kiez verlassen sie ungern, maximal um auf ein Festival in einer Parallelwelt zur Selbstvergewisserung aufzusuchen. Eintrittspreisdiskussionen und Bierpreise bestimmen die Diskurse. Außerdem kannte man die meisten Bands schon, als sie noch für Spritkohle spielten. Die junge Generation beobachtet man dort mit gewissen Sympathien, hält sich mit offener Kritik zurück, da man sich der Dreadlockträger in den eigenen Kreisen bewusst ist.

Der Sozialarbeiter-Punk 

Eine Abstufung davon ist der sozialarbeitende Zausel, der sich seines Verrats durch den zweiten oder vierten Bildungsweg bewusst ist, aber pflichtschuldig seinen Frondienst an der Theke des AZ ableistet. Wenn er die unterste Stufe des Sozialarbeitsprekariats aber verlassen hat, leistet er dies, indem er Solipreise für Fanzines und Eintritt bezahlt. Allen gemein ist, dass sie mit sich selbst im Reinen sind, weil auch sozial depriviert. Moralisch dadurch aber unangreifbar, wenn sie nicht auf ihre alten Tage doch noch durch Corona oder über Israel gestürzt sind.

Bildungsbürger-Punk

Eine gleichwohl größere Schuld haben sich die Lehrer aufgeladen, die den Kern dieser Gruppe bilden. Sie reden sich das Berufsbeamtentum zwar mit der hehren Absicht schön, hier die jungen Erwachsenen auf dem Weg in eine inklusive und sozial gerechtere Gesellschaft zu begleiten, aber bereits nach kurzer Zeit im Dienst erkennen sie die Hoffnungslosigkeit ihres Tuns und denken auch mal an sich. Das tun sie, indem sie mit dem Duktus des integren DIY-Punks alles kaufen, was der Markt an prekär hergestellten Produkten und Konzerten hergibt. Sicherheitshalber verschwindet Minima Moralia hinter der neue Tocotronic-Sammel-Vinyl-Box. Oft schämen sie sich aber, laut von der ungleichen Besoldung im Schuldienst zu sprechen, wenn sie von der verwandten Gruppe der Pädagogen und deren erbärmlichen Gehaltszettel und den lächerlichen sechs Wochen Ferien erfahren. Wie es sich aber für die Absolventen eines echten Hochschulstudiums gehört, kann diese Gruppe die Welt zwar erklären, aber nicht verstehen. So verschanzt man sich dort zum Korrigieren in das Arbeitszimmer und hört mittlerweile Jazz. Aber so richtig mag man sich nicht zurückziehen, weil einem, wenn schon nicht die Schüler, wenigstens die alten, schlicht gebliebenen, Gefährten noch zuhören. Außerdem lieben sie den Schlagabtausch mit der jungen Generation, denn sie haben nicht nur die gevlogten Zusammenfassungen von Marcuse und Butler gelesen sondern parlieren gekonnt, wenn es sein muss sogar mit Habermas. Mit der engel’schen Liebe für das einfache Volk blicken sie auf die nächste Gruppe.

Die dickbäuchigen Altpunks

Diese haben ihren Frieden gefunden. Sie haben den Absprung geschafft und sich mit den alten Skinheads zu einer verschworenen Suff-und-Freizeit-Brotherhood zusammengeschlossen. Das ausfallende Haupthaar und die wachsende Wampe mögen hier Ausdruck dessen sein, das zusammenwächst, was zusammengehört. Nicht zuletzt, weil man auch die Liebe zum Fußball teilt. Neben einem mehr oder weniger anstrengendem Job im mittleren Management der Pflege oder im Kaufmännischen oder als Pädagoge werden die Ziele am Wochenende oder in die Ferien gesetzt. Entweder man feiert zusammen bei den Los Fastidios mit den alten Kumpels im AZ oder beim Booze and Glory-Konzert im Wohnzimmer, dem Don’t Panic. Rock’n’Roll-Butterfahrt, Punk im Pott, Spirit Festival und Rebellion sind die Marken ihrer Jahresplanung. Urlaube und lange Wochenenden werden präzise geplant. Selbstverständlich schläft er im Hotel, wenn er nicht schon lange ein eigenes Wohnmobil hat. Man kennt sich in ganz Deutschland, plant Auszeiten zur körperlichen Regeneration, denn man möchte auch die anstehende Rente noch genießen. Egal ob Alarmsignal oder Sondaschule, man kennt sie mittlerweile alle persönlich und man mag sich. Diskussionen drehen sich nicht mehr über Bier- und Eintrittspreise, denn Geld ist nicht das Problem. Wenn es knapp wird, kann man die geerbte Immobilie der Eltern noch im Notfall versilbern. Es ging schon so lange gut, warum sollte sich das ändern, denkt man sich, wenn man wieder die Nachricht von einer verstorbenen England-Punk-Legende teilt.Aber hätten die sich gewünscht, dass man sich deswegen nicht für Darts interessieren sollte?

Der zweifelnde Silberrücken

Ganz anders hingegen die seltene Spezies der ewigen Zweifler. Die Leute, die schon immer ihr eigenes Handeln infrage gestellt haben. Früh wandten sie sich vom Punk ab zum Hardcore, um dann doch zu erkennen, dass das auch alles nur Marschmusik ist. Und überhaupt diese maskuline weiße Subkultur? Also wurde durchaus auch im Hip Hop gewildert, um sich auch dort wieder zu entfremden, die Schlichtheit des Punks als Form von Dada wieder zu entdecken, um wiederum die eigene Rolle als Konsument  kritisch zu beäugen. Nicht nur immer auf die Anderen gucken, auch sich selbst als das Problem zu begreifen. Immer wieder entdeckt er progressive Strömungen, um sie als Wiedergekäutes zu entlarven. Dialektik ist hier als Seitwärtsbewegung zu verstehen. Nichtsdestotrotz verfügt er über eine unglaubliche Vinyl- und Büchersammlung, wobei das Vinyl gehört, die Bücher aber nur angelesen sind. Der ökologische Fußabdruck ist entsprechend der Reiselust ebenso riesig wie bei seinem hedonistischen Artgenossen, nur reflektiert er dieses Verhalten und geißelt es bei jeder Gelegenheit, während er mit geheimer Abscheu auf alle anderen blickt, die nicht so reflektiert sind.

Der gute alte weiße Cis-Punk

Eine Spielart dieses alten Punks ist die Version, die ganz offen bei der jungen woken Generation anbiedert und die Gelegenheit nutzt, mal richtig abzuledern. Schließlich ist das Wissen über den üblichen Sexismus auf Konzerten in den frühen 90ern eine Waffe gegen all die selbstzufriedenen anderen Alten. Und das Gefühl, am Ende doch noch zu den Guten zu gehören, kann einem keiner nehmen. Endlich wird man auch mal ernst genommen und kann aktiv an Säuberungsmaßnahmen teilnehmen.

Der böse alte weiße Cis-Punk

Dem gegenüber steht quasi das punkgebliebene Feindbild.Während sich alle anderen Spielarten noch mehr oder weniger an Punkmindeststandards orientieren, hört dieser Typus zwar die Musik bis in die 90er-Jahre hinein ausschließlich, hat den Aufstieg auf dem Markt aber geschafft. Einfamilienhaus, SUV, Grill und Fernreisen (gerne geschäftlich) werden offen zur schau gestellt. Motto: Eure Armut kotzt mich an! Die Ärzte haben ihm ‚Alles ist punk‘ auf den Leib geschrieben. Er lacht laut, wenn er von früher erzählt und noch lauter, wenn er die heutigen Debatten hört. „Was für Witzfiguren“, denkt er, wenn er alte Kumpels der vorherigen Kategorien antrifft. Und das tut er zwei- bis dreimal pro Jahr, wenn er noch mal aus alter Verbundenheit einen mit alten Kollegen einen draufmacht oder mit seiner Band nochmal auf die Bühne geht.Hass perlt an ihm ab, denn der Erfolg hat ihn geglättet.

Der Arsch für alle

Bleibt am Ende die bemitleidenswerte Gruppe derjenigen, die geschäftlich vermutlich genauso erfolgreich gewesen wären, wie die hedonistischen Arschlöcher, nämlich die Hängengebliebenen, die im Gegensatz zur eingehend genannten AZ-Punkern nicht von der staatlichen Fürsorge leben, sondern von einem Businessmodell Punk. So gerade eben halten sie sich über Wasser, können sich derzeit als Clubbesitzer, Booker, Musiker, Label- oder Fanzinebetreiber gerade eben noch über Wasser halten. Als aktive und ständig präsente Punker stehen sie ständig im Fokus von kleinlicher Kritik und sind auf die gnade der erwähnten Gruppen angewiesen. Ständig sind sie der Gefahr ausgeliefert, von den anderen Alten verstoßen oder von den Jungen gecancelt zu werden. Sie müssen sich das Leben schön reden und den Hass runterschlucken, denn sie sind von all den Trotteln und ihren Geldbeuteln abhängig.

Wenn sich der geneigte Leser in diesen Beschreibungen wiederfindet, sollte er sofort alle Aktivitäten einstellen, denn seine Existenz stellt eine nicht zu unterschätzende Mikroaggression dar, die den Ausschluss einer ganzen jungen Generation Punk zur Folge haben kann. Tretet endlich konsequent den Gang durch die Institutionen an und gebt den Ring für die Praktikant:innen frei!

Die großartigen Illustrationen hat Markus Magenbitter gemacht, der auch ein tolles Fanzine macht. Markus ist übrigens noch nicht richtig alt!

Richtig alt sind hingegen die Macher vom Mind the Gap Fanzine, die so freundlich sind, mich mitmachen zu lassen. Dieser Artikel ist im Jahr 2022 erschienen und die neue Ausgabe kommt im Juni 2023. Kaufen könnt ihr das Heft hier. Es gibt auch einen Teil 2 dieses Artikels, der sich mit den Normalos beschäftigt, also den alten weißen Cis-Dingern, die keine coolen Punks wie wir waren.

3 Kommentare

  1. Hahaha der “graue AZ Punk”. Da hab ich gleich ein paar Leute vom AK und der AU vor Augen.
    Hahahahaha,Mega!
    Ich geb den Artikel mal an den Gnata weiter
    😀

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