Hinterköpfe 2022

Meine Konzertbilanz 2022  

+++ Siechtum sorgt dafür, dass der späte Saisonauftakt mit TREND im Gebäude 9 ins Wasser fällt. Als early bird stehe ich als erster in der Schlange vor dem Underdog und kaufe einen ganzen Stapel Karten für die 25 Jahre Underdog Recordstore – Sause. Umsonst. Vielleicht die letzte Möglichkeit verpasst, TREND nochmals live zu erleben? Es wäre bitter. +++ So verschiebt sich der Start bis in den Mai. TEAM SCHEISSE und POGENDROBLEM im Bumann & Sohn. Ausverkauft und angeblich ist das der erste Auftritt vom TEAM SCHEISSE auf fremden Geläuf. Ich staune, denn der euphorisierte Mob vor der Bühne singt textsicher fast jede Zeile des Teams lauthals mit. Mir gefällt der waldschratige Sänger mit dem undefinierbaren Alter ausnehmend gut, ansonsten bleibt mir die Begeisterung rund um die Band ein Rätsel. Der Abend beschert mir mit “Wie betäubst du dich?” ein neues Lieblingslied von POGENDROBLEM und ich freue mich, wie gut sie als Warm up ankommen. Am Ende eines Selfie Sticks ist auch Linus Volkmann vor Ort. Ich beobachte ihn unauffällig aus dem Augenwinkel, um zu kontrollieren, ob ihm POGENDROBLEM gefällt. +++ Zum ersten Mal Stapeltor mit ACHT EIMER HÜHNERHERZEN. Die will ich sehen, weil Jacho da mitspielt. Guter Laden. Gutes Konzert von ACHT EIMER HÜHNERHERZEN und ein tanzfreudiges Publikum. Sehr schön! Ich werde völlig von SALÒ umgehauen, der auch auf dem Programm steht und von dem ich vorher noch nie gehört habe. SALÒ sieht mit Gesichtsporsche und blonden Strähnchen im Fransenschnitt super aus und berserkert zu Tracks aus der Konserve wie ein Hardcore-Sänger über die Bühne, um dann, fast divenhaft, auf zarten Popschmelz umzuschwenken. Dabei ist die Liebe sein großes Thema. Mir wird ganz warm ums Herz und ich werde auf der Stelle Fanboy. +++ Zum ersten Mal Reifenlager in Essen. Ein Freund aus Berlin ist in der Nähe und wir treffen uns dort, um ein wenig zu quatschen. Da ist die Band dann fast egal, aber zu unserem Glück sind Judy & The Jerks großartig. Ein kurzes, intensives Hardcore-Brett voll auf die Zwölf, im frühen Eighties-Style, das uns breit grinsen lässt. Eine klassische Win-Win-Situtation! +++ Freund Swen winkt mit einer potenziellen Freikarte für das Ruhrpott Rodeo. Ein leeres Versprechen, wie sich dann vor Ort herausstellt. Notgedrungen greife ich tief in die Tasche für ein Tagesticket, um mir Maid of Ace aus Hastings anzugucken und ein gemeinsames Foto mit der Band zu machen. Wegen eines Freundes in Hastings, wie ich der Band erzähle. Später werde ich von Zweiflern dafür gehänselt, denn ich hätte ja gar keinen Freund in Hastings und ich hätte es nur für eine Handvoll Likes auf Facebook getan. Lügen! Knochenfabrik machen noch Spaß, weil sie ihren Auftritt mit einer sehr charmanten Beiläufigkeit abwickeln. Damit ist mein Interesse am Line up aber auch schon erlahmt und den Rest des Tages verbringe ich aus Langeweile an den zahlreichen Imbissbuden und gebe noch mehr Geld aus. Aus Festivalsicht dürfte mein Konsumverhalten vorbildlich sein. +++ Kurz danach geht es nach Münster für einen Tagesausflug, um einen beseelten Abend mit den Neo-Krautrockern von ZEMENT zu verbringen. Wir schwelgen im Neu!-artigen Sound und die Band ist beim Kennenlernen genau so sympathisch, wie ich sie mir aufgrund ihrer Facebook-Präsenz vorgestellt habe. Ich merke mir einen wunderschönen Satz von Philibert: “Manchmal spielen die Instrumente mich.” +++  Im Waldmeister in Solingen sehe ich mir dann SALÒ nochmal an. Es ist noch besser als in Duisburg, weil er auf der kleinen Bühne im kleinen Waldmeister noch präsenter ist. Bar jeder Ironie schwenke ich im Laufe des Auftritts gemeinsam mit den anderen meine Arme im Takt in der Luft und entflamme später mein Feuerzeug, um es über den Kopf zu halten. Beides fühlt sich richtig an.  Bei seinem Cover von “Du trägst keine Liebe in dir” verdrücke ich sogar heimlich ein Tränchen der Rührung. Fast heimlich, denn meiner Begleitung entgeht meine Ergriffenheit nicht. +++ Beim Besuch von Freund Stone in Bremen geben wir uns gemeinsam Fucked Up im Tower. Die sind immer gut, so auch an diesem Abend. Damian, der knuffige Sympath an den Vocals, landet einen Wirkungstreffer aus dem Nichts bei mir. Überschwänglich feiert er die Tatsache, dass Fucked Up wieder in Europa touren können, wo sie doch wegen der Pandemie eigentlich nicht mehr damit gerechnet haben, beschwört unsere wundervolle Hardcore-Community, um dann dazu überzugehen, die Freunde und Bekannte aufzuzählen, die die Band durch COVID für immer verloren hat. Hilfe! Pathos-Overkill! Ich heule aus dem Stand Rotz und Wasser und muss fluchtartig den Saal verlassen. Zu meinem Glück ist Freund Stone u. a. auch Pädagoge, so dass ich nach kurzer Intervention seinerseits wieder in den Saal zurückkehren kann. Vielleicht sollte ich die Tabletten wieder nehmen? +++  Next level TEAM SCHEISSE und POGENDROBLEM. Diesmal im Gebäude 9 und wieder ist es ausverkauft. Ich habe Martin und mich auf die Gästeliste gequatscht. Der Enthusiasmus rund um das Team ist ungebrochen und auch POGENDROBLEM schlägt wieder Zuneigung entgegen. Ich beobachte eine Generationswechsel, denn das sonst hier übliche mindestens 40 plus – Punkrockpublikum ist praktisch nicht zugegen. Um nicht weiter zu rätseln, verbuche ich TEAM SCHEISSE für mich unter einer Light-Version von Pisse. Durchaus gewitzte Texte, sicherlich auf der richtigen Seite, aber mir fehlt das Abgründige, Sperrige und Gebrochene, dass ich bei Pisse musikalisch und textlich zu erkennen glaube. Case closed. (Next level für TEAM SCHEISSE dann übrigens im April 23 in der Kantine) +++ Klaus Fiehe bringt mir Levin goes Lightly näher, denn er spielt “Liebhaber” in seiner Radiosendung. Vielleicht mein Lieblingssong 2022, denn ich mag den Überschwang, den der Song transportiert. Ich tanze viel dazu in Küche und Wohnzimmer und imaginiere mich als jungen Menschen auf ein rauschendes Fest mit guten Drogen, guter Musik und schönen Menschen. “Liebhaber” gibt das alles her. Nur zu gerne will ich mich von Levin goes Lightly dann auch live überwältigen lassen, aber es klappt nur so halb. Ich fremdel ein wenig mit Teilen des Publikums, denn es hat leider etwas von einer After Work Party. Schade. +++ Trommelwirbel. Der beste Abend des Jahres findet dann im ZAKK in Düsseldorf statt. STEVE IGNORANT spielt CRASS. Das könnte als Nostalgie-Veranstaltung schlimm nach hinten los gehen, tut es aber nicht. Die Band kreiert das perfekte Abbild des CRASS-Sounds, die Sängerin ist fantastisch und der sympathische ältere Herr STEVE IGNORANT ist sichtbar immer wieder vom Donner gerührt, ob all der Liebe, die ihm vom mitsingenden Publikum entgegenschlägt. Es ist wunderschön und ich verdrücke (schon wieder) ein paar Tränen. Mein Freund in Hastings, der auch ein guter Freund von Steve Ignorant ist, muss übrigens wieder für meine Frage nach einem Erinnerungsfoto herhalten. Es klappt. Zwei ältere Herren winken freundlich in die Kamera. +++ Der letzte Ausflug des Jahres führt dann nach Siegen. GIRLS IN SYNTHESIS und KRATZEN im VEB. Henning stellt seit Jahren ein tolles Programm in Siegen auf die Beine und wir kommen als Reisegruppe. Von KRATZEN habe ich bisher nur gelesen. Sie firmieren unter Krautwave, was eine treffende Beschreibung ist. Sie kriegen mich mit einem stoischen, treibenden und repetitiven Fundament aus Bass und Schlagzeug, dass mich unentwegt mitwippen lässt. Die Gitarre setzt dazu eher sparsam Akzente. Sehr gut! GIRLS IN SYNTHESIS dann so sehr, sehr gut wie erhofft. Schon in dem Moment, in dem die Band die Bühne betritt, offenbart sich, dass es sehr INTENSIV werden wird, obwohl noch gar kein Ton gespielt wurde. Keine Ahnung, wie manche Bands eine solche Aura hinkriegen. Es wirkt so entschlossen, fast paramilitärisch, wie eine Krach-Kampfeinheit im Einsatz. Wir werden platt gemacht. Kein Zweifel. Und so kommt es dann auch. +++ KRATZEN und ZEMENT und GIRLS IN SYNTHESIS würde ich gerne in Duisburg veranstalten. Meine Versuche der Kontaktaufnahme mit dem Stapeltor sind bisher gescheitert, aber ich bleibe dran. Gleich geht es noch zu Kai & Friends mit Six Pianos in die Mercatorhalle und am Samstag warten noch EA80 in Siegen auf mich. Man sieht sich. +++