KARIES – Wie man im COVID-Zeitalter ein Album macht

Sich Illusionen machen

Nährt die Förderung vielleicht trotzdem sogar die Illusion, man könnte von der Musik leben? Als “Alice” raus kam, dachte ich tatsächlich kurz, dass es jetzt bei KARIES “Klick” machen und ein “Großer Sprung nach vorn” bevorstehen würde. Gab es solche Momente bei dir oder bei euch, dass du/ihr geglaubt habt, dass das Realität werden könnte mit dem “von der Musik leben”? Oder war das nie ein Ziel?

Also ich spreche hier für mich. Mein Wunsch war zunächst eine eigene Band, eine geile Liveband zu werden und ab auf Tour. Als sich das dann eingestellt hat und ich schöne Erfahrungen damit machen konnte, hab’ ich tatsächlich irgendwann gehofft und mir gewünscht, genau das zu schaffen, von der Musik zu leben und diesen Rausch da im eigens erzeugten Lärm auf der Bühne stehend, immer wieder zu erleben. Und so hab ich uns auch eine Zeit lang erlebt: Als verdammt geile Live Band und ich war süchtig danach, mich darin erleben zu dürfen. Mir tat das unheimlich gut, mir hat das eine Klarheit und ein Selbstbewusstsein gegeben, mit denen ich sonst nicht durchs Leben gehe und eine Zeit lang dachte ich auch,  ja, vielleicht schaffen wir das sogar. Aber dann entstand so eine Dynamik und es ist zu viel passiert, was dazu führte, dass zu viel eben auch nicht passiert ist und dann war dieser Drive und die Hoffnung auch wieder verflogen. Und zu “Alice” ist zu sagen: Ja, die Platte ist atmosphärisch total klasse, aber als Band haben wir das, glaube ich, nie geschafft, das auch überzeugend auf die Bühne zu bringen. Ich war jedenfalls immer sehr unzufrieden damit und ich glaube, das hat dem Ganzen auch einen Knacks gegeben, oder so. Jetzt sind wir, glaube ich, an einem Punkt, wo wir diese Band eben noch als Beiwerk sehen können, um unser bürgerliches Leben etwas schmucker zu gestalten und das ist ja eigentlich auch nicht das Schlechteste, wenn sowas da ist. Natürlich ist da aber auch weiter abzuwägen, unter welchen Bedingungen das stattfindet.

Ich komme auf die Illusion, weil ich letztens in Düsseldorf kurz mit Patrick Wagner vor einem GEWALT-Gig quatschen konnte. Ich so grenzenlos naiv: “Clouds Hill, LP-Boxset, Buch und Chartseinstieg, bei euch geht was, oder?” Er hat herzlich gelacht und auf die Jobs in der realen Welt verwiesen. Was macht ihr denn eigentlich, um über die Runden zu kommen?

Ich habe Soziale Arbeit studiert und verdiene damit auch meinen Lebensunterhalt als Sozialarbeiter bei der Mobilen Jugendarbeit in Stuttgart. Max hat Psychologie studiert, jobbt auch schon in einer therapeutischen Einrichtung und steht am Anfang seiner Ausbildung zum psychoanalytischen Psychotherapeuten. Paul ist Profi hinterm Tresen, hat sich in den letzten Jahren mit Leuten zusammen ein tolles Tonstudio eingerichtet und arbeitet auch fleißig darauf hin, mit Ton und Produktion über die Runden zu kommen. 
 

Ich hoffe, dass sind dir nicht zu viele Fragen in Bezug auf Geld und Finanzierung. Ich find es immer recht doof, wenn Kultur/Kunst abseits von den Lebensrealitäten, in der sie entsteht, verhandelt wird. Und leider haben nur PISSE das Zeug zum TiKTok-Phänomen. [lacht].

Das ist schon der Wahnsinn, oder? Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich das so in den letzten Wochen realisiert hab’, was da bei PISSE entstanden ist. Schöne Geschichte auf jeden Fall, einfach nur wow! Und ein kleines finanzielles Polster dürften die da jetzt ja bestimmt haben.

[Es entsteht eine kurze Pause, denn wir freuen uns gemeinsam andächtig für PISSE.]

Fakten

Wir können über die Mini-Reichweite hier noch ein paar Fakten streuen. Das Album kommt spätestens wann?

Stand jetzt im Frühjahr 2023. 

Wieder über This Charming Man Records?

Ja.

Auftritte in naher Zukunft?

Nein. Vor Sommer/Herbst 2023 wird das nix werden, wie es aussieht. Wir schon erwähnt, müssen wir an einer komplett neuen Live Umsetzung arbeiten und in der Live Umsetzung auch eine andere Band werden und anders klingen als noch vor 5 Jahren. 

Benjamin Close

 

Zum Abschluss: Magst du noch etwas über dein Solo-Projekt BENJAMIN CLOSE erzählen? Da gibt es bisher ja erst einen Song über bandcamp zu hören. Kommt da bald mehr? Und wie unterscheidet sich das, was du als BENJAMIN CLOSE machst von der Herangehensweise bei KARIES?

Das ist Solo und eben keine Band. Die ersten Songs und Skizzen, die ich gemacht habe, sind zum großen Teil englischsprachig und ich versuche mich damit zum ersten Mal in melodischen Gesang, was aber nun auch schon bei KARIES wiederum eingeflossen ist. Ich nehme so gut wie alles selber auf, fang an das selber vorzuproduzieren in Ableton. Aber auch hier hat Paul schon was beigetragen als Produzent und Tontechniker. Vor allem zu dem nächsten Song, den ich im September veröffentlichen will. Um das noch etwas mehr zu unterfüttern oder auszuweiten: Mit BENJAMIN CLOSE knüpfe ich an die Anfänge meiner Poprezeption bzw. Sozialisation an und an der standen Michael Jackson, als ich schätzungsweise 7 Jahre alt war und da davor noch Heino. Der hatte mit seiner Sonnenbrille ja noch am ehesten sowas wie Popappeal in den Musikantenstadl oder Fernsehgarten gebracht, die bei meiner Oma gelaufen sind und die ich auch oft mit angeschaut habe. Da kann ich mich noch dran erinnern, dass ich damals schon dann auch Tagträume hatte, auch mal ein Sänger und Künstler zu sein. Daran knüpf ich jetzt Jahrzehnte später irgendwie wieder an. Mal schauen, ob mir auch noch ein cooles Distinktionsmerkmal einfällt, wie der Griff in den Schritt oder die Sonnenbrille [lacht].

Von Heino über Michael Jackson zu Benjamin Close. Ein schöner Abschluss. Benjamin, ich danke dir für das Gespräch.

[Foto-Credits: Vermutlich von Christian von der Heide. Auf dem Foto ist nicht Benjamin Schröter sondern Jan Rampelu im Djäzz/Duisburg zu sehen.] 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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