Die Welt von Gary Flanell: Kleines John Steam Records Spezial 

Das ist ja eine Freude für mich, dass sich dieser Garry Flanell dachte, ich hätte Geschmack. Natürlich ein plumper Zug, denn, derart gebauchpinselt, gehe ich auch direkt positiv an sein Päckchen ran, das mir aber auch wirklich sehr viel Freude gemacht hat. Zwei Tapes, ein Buch und eine Single sprechen schon einmal für Artenvielfalt. Das Little Naitsabés Rebok / Gary Flanell Split Tape startet im Gegensatz zur Bandcamp-Veröffentlichung mit LITTLE NAITSABÉS REBOCK. Und der Jung hat es raus, mich zu fesseln. Atmosphärische Klänge in Songstrukturen, die mal in Richtung Dub, mal Ambient-mäßig oder auch jäzzig angehaucht rumwabern. Das passt irgendwie auch zur Hitze in der Stadt. Das packt und lädt dazu ein, sich der Musik hinzugeben. GARY FLANELL schließt da zunächst an, ist dann aber zuweilen radikaler, denn die Umgebungsgeräusche seiner Wohnung werden inkludiert; sie bilden gewissermaßen die Allgegenwärtigkeit in den Räumen seines Lebens ab. Klingt interessant, ist es auch. Ich habe mich beim Liegen im MRT immer gefragt, wann jemand diesen Sound mal verwendet, Gary könnte es hinkriegen. Wenn man so will, kann man beide Künstler so hören, dass Rebok so die ganze Stadt musikalisch hörbar macht und Gary hier auf den Wohnraum verengt.

Mit Sun Ra Bullock macht Gary Flanell dann weiter auf dem ATOMVULKAN BRITZ – Tape. Regressiver Rock finde ich eine tolle Bezeichnung für den minimalen Sound durch Schlagzeug und Bass, der hier auch durch experimentale Samples teils bedrohlich aufgepustet wird. Die minimalen Gesangs(?)elemente sorgen zusätzlich für ein tripähnliches Hörerlebnis. Ideal kommt das bei abgedunkeltem Raum mit Leucht-LEDs aus dem Baumarkt. Ich schwör: Besser geht’s nicht! Durch das Video Britz Süd fühle ich meine rauschhaften Assoziationen bestätigt. Klar, die Dubelemente unterstützen das gut. Oft denke ich auch an No Wave oder ähnliches. Die Freude am wohldosierten Experiment kommt auf jeden Fall an. Irgendwie ist es wie eine Reise durch ein musikalisches Wimmelbild.
Und wie passt da die 7inch von OSEKRE & THE LUCKY BASTARDS rein?


Natürlich überhaupt nicht, denn das ist – in meinen Ohren – astreiner Soulpunk mit Calypso-Elementen, jederzeit mitreißend und hymnisch. Was für eine Freude, auch wenn ich wohl falsch liege, denn die Wurzeln liegen wohl in westafrikanischen Rhythmen, wie Gary in gerade noch lesbarer Handschrift mitteilt. Ja, ja, guter Geschmack kennt keine Grenzen! 2015 ist das schon raus, und ich weiß gar nicht, ob es da überhaupt noch Reste von gibt. Auf der Bandcamp-Veröffentlichung ist noch ein Song mehr drauf. Da sollte der geneigte Leser ruhig mal auf die Suche gehen. Diese Perle ist es wert, gesucht zu werden.

Zum guten Schluss gibt es dann mit „Angst vorm blauen Himmel“ noch eine Kurzgeschichtensammlung, die zur Reise durch Gary Flanells Fantasie einlädt. Manche Geschichten scheinen einen autobiografischen Hintergrund zu haben, wenn beispielsweise Opas Sicht auf die Neubausiedlung im Dorf oder das traurige Schicksal, wenn man als DJ seinen guten Musikgeschmack mit den realen Wünschen eines einfachen Publikums in Einklang bringen muss, thematisiert werden. Das Leben auf dem Dorf mit Schützenfest und Gleichaltrigen, die auch gerne mal Nazis werden, gehört sicher zum Kanon der Erzählungen, die der Punkszene entspringen. Das wird plastisch erzählt und die Bilder im Kopf entstehen sofort. Die den Träumen und Fantasien Garys entsprungenen aberwitzigen Geschichten sind für mich die Höhepunkte. Die haarige Rambo-Spinne oder das Schicksal des fetten Wellensittichs Schlipsie machen einfach richtig Spaß. Ich liebe dieses Abtauchen ins Absurde. Gassigehen mit unsichtbaren Hunden, Bartwuchs, um Tieren ein Zuhause zu geben… Eine wahre Freude, das zu lesen! Vielleicht ist es manchmal etwas schwer, die Geschichten einfach hintereinander zu lesen, weil die Texte doch sehr unterschiedlich sind. Nachdem ich umgestellt habe und einfach immer geblättert habe, um an einer Geschichte kleben zu bleiben, die meiner eigenen Stimmung entsprach, stieg mein Lesevergnügen doch deutlich. Erschienen ist sein Sammlung bei Edition Subkultur.

Für mich auf jeden Fall ein Fest, diesen kreativen Geist kennenlernen zu dürfen, der abseits der gängigen Pfade meine Suchbewegungen nach Interessantem kreuzt. Ich hoffe auf viele weitere Aktivitäten und kann dem geschätzten Kreis der Leser dieses Blogs nur empfehlen, genauer hinzuschauen oder zuzuhören, wenn da Gary Flanell oder John Steam Records draufsteht.

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