State of the Art: Bildung heute

wp-1458818027082.jpegEin Jahr ist nun das Referendariat beendet und ich blicke nun insgesamt auf die ersten sechs Jahre meines neuen Lebens in der Bildung zurück.

Aus der Distanz hatte ich immer einen Plan für eine bessere Welt, der so in eine Mischung aus Sozialromantik und Revolution eingebettet war: Mehr Geld, mehr echte Demokratie, Freiheit und während des Studiums kam dann noch die Säule Bildung dazu. Aber je näher ich an die Ausführung der Pläne komme, desto mehr wandelt sich das Bild von der Utopie in eine reale Dystopie.

Als Lehrer bin ich nun Teil eines Systems, das die Bildung der Kinder gegen die Wand fährt. Das fühlt sich ungut an, wenn man ganz nah dran ist und sich ohnmächtig fühlt.

Mit Bildung sollte man schließlich alles bekämpfen können: Armut, Dummheit, Rassismus, Religion, Umweltzerstörung etc. Würden alle nur schlau genug sein, führten wir keine Facebook-Diskurse, sondern wählten eine gepflegte Debattenkultur.

Leider steht es nicht besonders gut an der Bildungsfront. Es funktioniert nicht so, wie wir uns das vorstellen. Sind die Lehrer schlecht, die Schüler dumm? Oh, Entschuldigung bitte, sind sie heute alle nicht alle krank? Sie haben ADS, ADHS, Dyskalkulie, LRS, Wahrnehmungsstörungen, Allergien und meistens sind sie auch noch hochbegabt.

Engagierte Eltern – das sind die, die sich kümmern – rennen deswegen von einer Nachhilfe zur nächsten Therapie. Diagnosen habe ich natürlich in meiner Unterrichtsplanung zu berücksichtigen. Da macht das bisschen Inklusion und Integration auch keine Probleme mehr. Dem einen Kind muss ich Bewegung ermöglichen, dem anderen dürfen keine Geräusche zugemutet werden, dem nächsten muss das Klassenzimmer reizarm gestaltet werden, die Übernächste braucht Extrahilfe, um den Stift in die Hand zu nehmen und, und, und…

Manche Eltern – das sind die, die sich nicht so kümmern – belassen es dabei und geben ihre Kinder in der Schule ab. Die Zeit wird schon rumgehen, auch ohne Diagnose und Nachhilfe. Schließlich kriegen die meisten Kinder doch immer irgendwie ihren Abschluss.  Wer einmal Aufgaben und Bewertungshorizonte von Zentralen Abschlussprüfungen gegoogelt hat, kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Und wenn man dann noch weiß, dass die Aufgabenformate permanent eingeübt werden, weil die Fähigkeit fehlt, andere als immer dieselben zu verstehen, begreift auch, warum lauter als früher gefeiert wird. Schließlich wird alles wieder gut gePISAt und jedes Scheitern kriegt man empirisch in Erfolg verdreht.

Das muss ja auch so sein, denn sonst müsste Bildungspolitik und Lehrerausbildung ja als gescheitert angesehen werden. Macht aber niemand. Stattdessen wird ein Unfug nach dem anderen als Bildungsinnovation abgefeiert. Jede ganzheitliche Sau wird planlos durch die Bildungslandschaft getrieben. Lehrer sollen bitteschön nur noch Lerncoach sein: Bloß nicht zu präsent sein, die Kinder alleine machen lassen – das ist schließlich viel nachhaltiger als das bloße Hineintrichtern von Faktenwissen im Frontalunterricht –, bei Problemen helfen, unterstützen und erklären sich die Kinder alles untereinander. Ihren Lernprozess lernen sie von selbst zu überwachen. Das klappt wunderbar und ich spüre regelrecht, wie hier eine ganz neue Generation heranwächst. Die können nachher immer toll reflektieren und evaluieren.

Die Kinder lernen in vielen Grundschulen nach dem Motto ‚Schreip widu schprichst‘, damit die kleinen Racker nicht die Schreiblust verlieren, weil es ja die Motivation zerstört, wenn die Kleinen gesagt bekommen, dass man das auch richtig schreiben kann – es ist ja schon anstrengend genug, einen Stift in der Hand zu halten –. Schreiben, so die Grundannahme – kein Witz –, erarbeiten sich die Kinder dann alleine. So können Motivation und Spaß im Vordergrund stehen. Spaß macht die Schule trotzdem nicht und kein offener Unterricht macht so viel Spaß wie das Smartphone, mit dem die Kinder schon früh ihre Art von Erfolgserlebnissen produzieren. Damit kann das hilflose Gekritzel, das sie in der Schule produzieren, nie konkurrieren. Aber mit ihren ganzen scheiß Medien sind die Blagen ja schön beschäftigt und man muss nicht mehr mit ihnen sprechen, ihnen Grenzen aufzeigen, ihnen Freiraum geben, ihnen helfen oder einen Tritt in den Arsch geben. Dafür werden die kleinen Prinzen und Prinzessinnen dann andernorts gepampert. Ersatzhandlungen, wie die Kinder überall mit dem Auto hinfahren oder überdimensionierte Geburtstagspartys veranstalten, sind Zeichen ihrer Fürsorge. Folge davon: Die kleinen überdrehten Patienten können in der realen Welt gar nichts. Und aus dieser Lebenswelt soll sich in der Schule etwas entwickeln. Könnte klappen, funktioniert auch zum Teil auf den Gymnasien, weil dort kräftig zu Hause nachgearbeitet wird. Zuhause – nach der Schule – findet heute Bildung statt. Noch nie wurde so viel Nachhilfe in Anspruch genommen wie heute. Schule hat schon lange aufgegeben, Wissen zu vermitteln. In den 90ern wurde dafür der Euphemismus Outputorientierung herangezogen. Kompetenzorientierte Lehrpläne und gemeinsame Bildungsstandards der Länder waren das Resultat. Liebe Eltern unter euch, lest euch bitte mal so einen Kernlehrplan eines Faches in eurem Bundesland durch – könnt ihr googeln –, ihr werdet staunen, was eure Kinder so alles können und wissen, wenn sie die Schule verlassen. Nur nicht wundern, wenn ihr davon noch nichts bemerkt habt, selbst wenn das Kind noch ganz gut vom Notenbild aussieht. Nicht nur bei euch klafft eine gewaltige Lücke zwischen Anspruch und Realität, gerade wenn euer Kind auf so einer Resteschulform Schule des gemeinsamen Lernens wie Sekundar- und Gesamtschule gelandet ist. Dort ist Scheitern nämlich kategorisch verboten, denn das ist der Ort des gemeinsamen Lernens: Hier werden alle Unterschiede nivelliert und Heterogenität auf allen Ebenen ist das große Plus. Die Schwachen profitieren von den Starken und die Starken verstehen besser, weil sie den Schwachen helfen. Dabei spielt Unterschiedlichkeit aus sozialer, personaler und ethnischer Sicht heraus nur eine bereichernde Rolle. So die Theorie, die von den Elfenbeintürmen über das Land gestreut wird. Ich musste das alles während meiner Ausbildung schön aufsaugen und in Prüfungen wiedergeben: ideologisch aufgeladener reformpädagogischer Wahnsinn. Irgendwie ließ sich alles unter Laborbedingungen als wirkungsvoll verkaufen. Jede Form hiergegen aufzubegehren wurde abgestraft und war ein Spiel mit dem Feuer. Meine Ausbruchsversuche kann ich noch in Jahren an Einzelnoten erkennen, die dann nicht sehr gut waren, wenn sie nicht der Leer Lehrmeinung entsprachen. Die Deutungshoheit lässt man sich dort ungern nehmen.

Horden von gehirngewaschenen Junglehrern sind die Folge, die kaum ein alltagstaugliches Handlungswissen haben und sich im von Ansprüchen überfrachtetem Alltag über Wasser halten. Dafür stellen die Schulbuchverlage die Rettungsboote gefüllt mit differenziertem Material zur Verfügung.  Das können die Schüler dann im offenen Unterricht je nach Lust und Laune abfrühstücken individuellem Forder- und Förderbedarf sowie Lerntempo bearbeiten. So ähnlich stellt sich der Hobbypädagoge Richard David Precht bestimmt die schöne neue Lernkultur vor.

Aber ich werde ungerecht, denn dagegen kann man nicht anstinken. Dem ganzheitlichen und gemeinsamen Lernen ist ja noch der moralische Geschmack des Guten beigemischt. Wer wünschte sich nicht, eine Jugend heranzuziehen, die eine offene und tolerante Wertegemeinschaft lebt, in der jeder nach seiner Fasson gleiche Chancen hat, glücklich und selbstbestimmt zu leben? Und da ist es doch gemein, wenn es in der Schule so funktionieren müsste, wie im normalen Leben: so mit Anstrengung und Leidenschaft. Oder man stelle sich vor, es würden – o Gott, welch Frevel – homogenere Lerngruppen geschaffen werden, so dass dort auch – jetzt kommt es noch schlimmer – kognitive Lernziele angestrebt werden können.

Leider schafft ein künstlich beschaffener Raum, der Chancengleichheit begünstigen soll, genau das Gegenteil. Die Unterschiede werden immer größer: Ein Kind mit Hauptschul- oder Realschulabschluss wird heute in die Welt entlassen, ohne adäquat lesen, rechnen, schreiben zu können. Es hat nie die Erfahrung gemacht, dass es etwas leisten kann, dass es scheitern kann, wieder aufstehen, sich schütteln und neu anrennen. Es hat oft überhaupt kein belastbares Wissen und ist empfänglich für jede Art von Indoktrination und Beeinflussung. Es kann den abrupten Wechsel, auf einmal hilflos selbst auf die Anforderungen des Lebens reagieren zu müssen, gar nicht realisieren. Und obwohl Wissen heute wirklich frei verfügbar ist, kann es nicht darauf zugreifen und es nutzen. Diese Generationen von Bildungsverlierern werden die Heerschaaren von Billiglohnsklaven, Unzufriedenen und Perspektivlosen sein, die dereinst den Bodensatz der Gesellschaft bilden, weil sie später leider nicht der Ausgewogenheit halber in die ChefInnenetagen inkludiert werden.

 

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